Die Gettel
Man bekommt sie nur am Schmutzigen Donnerstag und am Fasents-Montag zu Gesicht. Neben dem Hexenmeister die zweite Einzelfigur der Offenburger Hexenzunft, die seit 1949 in Erscheinung tritt: Die Gettel. Ihr Auftreten erinnert an ein altes Weib in einer alten Offenburger Bürgerinnen-Tracht, mit Schultertuch und federgeschmückter Haube. Eine Perücke und das fraulich geschminkte Gesicht gehören ebenfalls dazu. Im Arm trägt sie das sogenannte „Fasentskind“, eine kindliche Puppe in einem Rüschenkissen, die am Schmutzigen Donnerstag, morgens um 6 Uhr symbolisch getauft wird und ihren närrischen Namen erhält. Nicht selten ist der Name in Anlehnung an das Stadtgeschehen gewählt und soll den Stadtoberen den Spiegel vorhalten. In der anderen Hand hält die vornehmste Dame der Hexenzunft ein Täschchen mit einer Flasche Kirschwasser – „Hexebruns” genannt. So ausgestattet marschiert die Gettel an der Seite des Hexenmeisters zum Narrenbrunnen am Lindenplatz. Hier wird früh morgens am Schmutzigen der Hexenspuk zelebriert und unser alljährliches Fasentskind aus der Taufe gehoben.
An Veranstaltungen wie dem Hexenball, dem Ämter- und dem Bankenbesuch darf der zum kleinen Hexle heranwachsende Sprössling dabei sein, in ständiger Obhut und Aufsicht seiner Gettel. Der Fasents-Dienstag jedoch bringt auch dem Fasentskind, das mittlerweile zur Strohhexe heran gewachsen ist, ein jähes Ende. Es stirbt den Flammentod, den sich unsere Gettel nicht mehr anschaut. Sie verschwindet aus dem Fasentsgeschehen bevor die Strohhexe brennt.
Mit Bäckermeister Karl Gehring, genannt „Meggele-Beck“ begann 1949 das Dasein der Gettel in der Offenburger Hexenzunft. Er schuf zusammen mit Hexenvater Karl Vollmer diese Einzelfigur und somit auch die Tradition der Taufe eines Fasentskindes. Doch nicht nur das! Anfangs wurde die Gettel noch vom Hexegroßli begleitet. Diese Figur der Hexen-Großmutter verkörperte Fischhändler Josef Seeger, der damals graue bzw. weiße Echthaarzöpfe an seiner Hexenmaske und eine weiße Küchenschürze trug. Im Jahre 1970 übergab Karl Gehring die Tracht der Gettel an Max Hagen.
Josef Seeger war 1957 verstorben und somit die Verkörperung des Hexegroßlis schnell in Vergessenheit geraten. Max Hagen trat ein schweres Erbe an, denn Karl Gehring war ein Meister des Schauspiels und der Mimik. Doch sein Nachfolger erwies sich als würdig, ehe er 1978 eine neue Gettel bestimmte. Fortan sollte Paul Böhler die närrische Patin des Fasentskindes übernehmen und auch er fand sich in dieser Rolle wieder und spielte sie hervorragend.
Nach dem Goldenen Hexefescht im Jahre 1985, wurde die Gettel an den Enkel vom „Meggele Beck“ weiter gegeben und wie sich heraus stellte, war das genau die richtige Entscheidung und Besetzung. Christoph Panther war wie geschaffen für die Rolle. Er verwandelte sich, wie einst sein Großvater und spielte seine Rolle bravourös. Christoph rief den Gettel-Orden ins Leben, der bis heute an verdiente aktive Mitglieder der Offenburger Hexenzunft vergeben wird. Eine begehrte Auszeichnung, die ausschließlich die Gettel verleiht. Christoph trug die Gettel bis ins Jahr 2001.
Ab dem Jahr 2002 bis ins Jahr 2006 teilten sich unsere Hexen Oliver Bilharz und Thomas Gehring die Gettel, bis im Jahr 2007 ein anderer dafür auserkoren wurde. Es war Joachim Bahr, eine Hexe und ein Offenburger, der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Mit seinem spitzen und närrischem Mundwerk war unser Joggel wie geschaffen dafür, künftig an der Seite des Hexenmeisters die Tradition seiner Vorgänger fortzuführen. Auch Joachim überzeugte mit seiner Mimik und seiner närrischen Art und erfüllte das Dasein als Gettel einmalig. Zudem ist er ja Haus- und Hoflieferant des Badenia Hexebruns. Er versprach unserem Zunftmeister Sven Schaller noch die Fasent 2018 mit ihm zusammen zu bestreiten, ehe er sich wieder ins Hexenhäs begeben würde. Und er hielt sein Versprechen. Seit 2019 verkörpert nun Christian Schoch die traditionsreiche Figur der Gettel.
Es wäre natürlich sehr zu begrüßen, wenn irgendwann wieder ein Hexegroßli neben der Gettel auftaucht, so wie zur Anfangszeit. Denn eines steht fest: Ein Fasentskind, dem mit Hexebruns und Hexespuk das Leben eingehaucht wird und das dazu noch von einer Gettel und einer Großmutter groß gezogen und verwöhnt wird, kann nur wohl gedeihen und eine richtige Strohhexe werden.